25. März 2023

„Sie setzen jeden Morgen ihre Maske auf und sie spielen, wie die Rolle es verlangt …“

Leicht verändert habe ich den Beginn des Songtexts „Theater“ von Katja Ebstein. 1980 nahm sie mit diesem Lied am Grand Prix als Vertreterin Deutschlands teil und erreichte Platz 2. Das Elisabeth-Gymnasium ist kein Theater, sondern eine Schule. Es geht da auch nicht um einen Eurovision Song Contest, sondern darum, etwas zu lernen. Doch vielleicht gibt es auch in der Schule das eine oder andere, das an ein Theater erinnert.

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Menschen tragen Masken und Kostüme. Nicht nur im Theater, beim Fasching oder beim Karneval. Möglicherweise sogar im Alltag in der Schule. Auch im Elisabeth-Gymnasium.

Die einen brauchen ihren großen Auftritt. Sie wollen im Rampenlicht stehen. Manche verstehen es bestens, sich in Szene zu setzen. Durch ihr auffallendes Outfit, das sie unterscheidet von anderen. Durch ihr spezielles So-Sein. Durch ihr Anders-als-andere-sein-Wollen, ihr ganz besonderes Ich- und ihr Mensch-Sein an sich. 

Wieder andere halten sich lieber hinter den Kulissen auf. Sie bleiben eher im Hintergrund.  Oder sie spielen eine Rolle, von der sie glauben, sie ausfüllen zu müssen. Denn: „The show must go on.“ Tatsächlich? Unter allen Umständen oder um jeden Preis? 
Es gibt auch diese: Jene, die darauf warten, dass der Vorhang endlich fällt und sie wieder die sein dürfen, die sie sind. Ohne Maske. Ohne Verkleidung. Ohne Kostüm.

Was ist echt und was gespielt? Was ist nur Show? Wer bin ich? Wann und wie? Wen lasse ich hinter meine Fassade blicken? Warum oder warum unter keinen Umständen?  Wer bin ich als Person? Fragen über Fragen, für die ich nach Antworten suche. 
Schon im antiken Theater trugen die Schauspieler Masken. Dadurch tönte die Stimme der Darsteller in der Rolle, die sie oder er charakterisierte. Bin ich mit mir selbst identisch? Oder trage ich für andere eine Scheinidentität? Stehe ich zu mir, so, wie ich bin? Oder lieber doch nicht, weil ich anders sein will, als ich es eigentlich bin?

Avatare stehen bei einem Computerspiel im Internet. Als künstliche Geschöpfe, die der virtuellen Welt zugeordnet sind. Menschen, Tiere oder Fantasiewesen bilden sie ab mit ihren Eigenschaften, Talenten und dem, was sie auszeichnet und unterscheidet von anderen. Will ich Avatar sein oder ich selbst?

„Das ist mein Menschenkostüm. In echt bin ich ein Faultier.“ 
Diese Aufschrift auf einem Sweatshirt einer Schülerin kann ich humorvoll verstehen und nicht ganz ernst nehmen. Ganz anders verhält es sich mit der Trägerin dieses Kleidungsstücks. Sie ist einmalig und einzigartig. Sie braucht keine wie auch immer geartete Rolle zu spielen, um anderen zu gefallen. Sie darf sie selbst sein. So, wie sie ist. Mit dem, was sie liebenswert macht für andere. Mit all dem, woraus sich ihre Persönlichkeit zusammensetzt. Sogar mit ihren Ecken und Kanten. All dem Unvollkommenen, dem Bruchstückhaften, dem Ergänzungsbedürftigen. Mit dem, was andere an ihr stört oder worüber sie sich aufregen.  

„Das ist mein Menschenkostüm. In echt bin ich ein Faultier.“
Wer bin ich „in echt“? Manche Menschen sind unzufrieden mit dem, was sie sind. Auf den unterschiedlichsten social media Plattformen und bei einschlägigen Apps in diesem Zusammenhang wird eine Welt dargestellt, die sich vielfach von der Wirklichkeit unterscheidet. Alle sind in diesem virtuellen Universum immer fit und zu jeder Zeit gut drauf. Sie sehen umwerfend attraktiv aus, haben keinerlei finanziellen Sorgen und auch sonst keine Probleme mit nichts und niemandem. Sie wissen, sich in Szene zu setzen. Manches (oder fast jedes?) Selfie wird verändert, kaschiert, retuschiert. So lange bearbeitet, bis es „passt“. Nur denen, die es sehen und erleben oder auch mir selbst? Ist es notwendend, ja, unabdingbar, mich im übertragenen Sinn mit einem Bildbearbeitungsprogramm verändern? Nur, um einem Pseudoideal zu entsprechen, das andere von mir haben sollen? 

„Das ist mein Menschenkostüm. In echt bin ich ein Faultier.“
Ich kann es nicht allen recht machen. Ich will es auch nicht. Was sich im ersten Moment arrogant lesen mag, ist für mich nicht unwichtig. Ich tanze nicht nach jeder Pfeife. Ich ändere nicht meine Meinung und meine Ansichten wie das Wetter. Wenn ich echt und authentisch bin, habe ich eine Persönlichkeit, die mich als solche ausmacht. Die mich nicht nur unterscheidet von denen, die anders sind als ich. Ich bin ich. Punkt. Ich habe meine eigenen Interessen, Vorlieben, Wünsche und Sehnsüchte. Ich lasse mich nicht leben, sondern trage aktiv dazu bei, dass mein Dasein gelingt. Nicht nur am Elisabeth-Gymnasium. 

Ich kann nicht über meinen Schatten springen. Mein Leben lang darf ich immer wieder neu lernen, dass ich nicht perfekt bin, sondern ergänzungsbedürftig, lernfähig und flexibel. Manchmal bin ich „in echt“ ein Faultier. Aber immer bin ich der Mensch, als der mich mein und unser Schöpfer gedacht und gemacht hat. Nicht als billige Kopie oder als Avatar in einer virtuellen Welt. Sondern so: „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn.“ Im Buch Genesis in der Bibel, im 1. Kapitel, im Vers 27 findet sich diese Aussage. Jeden Tag neu darf ich nicht nur dafür dankbar sein. Sondern mich über die mir dadurch zugestandene Würde freuen. Weil ich echt sein darf. Ein Original, das liebenswert ist wegen seiner Originalität und seiner Einzigartigkeit. Nicht wegen einer Maske oder eines Kostüms, die verhindern, dass ich so sein kann, wie ich bin.

Br. Clemens Wagner ofm, Schulseelsorger