7. November 2023

Antisemitische Narrative in Film und gesellschaftlicher Gegenwart – Rückblick auf eine Veranstaltung mit Prof. Bill Niven (Nottingham Trent University) und Vincent Kleinbub (Projekt „Bildspuren“ der Ev. Akademie Sachsen-Anhalt)

Gemeinsam mit Professor Bill Niven (Nottingham Trent University) diskutierten am Donnerstag, dem 02.10.2023 etwa 100 Schülerinnen und Schüler es Elisabeth-Gymnasiums über die Machart und Wirkung nationalsozialistischer Kinopropaganda. Anhand des Films „Jud Süß“ (1940) gab Prof. Niven den Jahrgangsstufen 11/12 einen Einblick in die Entstehung antisemitischer NS-Filme und umriss deren Nachwirkungen über das Jahr 1945 hinaus. Mit dem Projekt „Bildspuren“ beteiligte sich die Evangelische Akademie an der Vor- und Nachbereitung der Veranstaltung.

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Im Lehrplan Geschichte der gymnasialen Oberstufe ist das Thema NS-Ideologie als fester Baustein vorgesehen. Weil die antisemitische Regimepropaganda sich jedoch nicht nur in Zeitungen oder Reden, sondern auch in der Unterhaltungskultur niederschlug, kommt der pädagogischen Auseinandersetzung mit Filmen wie „Jud Süß“ eine besondere Rolle zu. Anhand der Aufbereitung antisemitischer Erzählungen durch das Kino lässt sich der massenhaften Verbreitung des Antisemitismus, dessen perfider Logik, aber auch der Beteiligung vieler Deutscher an der NS-Volksgemeinschaftsideologie nachgehen. Darüber hinaus sensibilisiert die pädagogische Auseinandersetzung mit dem Film für die Wirkweisen judenfeindlicher Bilder, von denen nicht wenige im gegenwärtigen Antisemitismus weiterexistieren.

Anhand ausgewählter Szenen führte der Zeithistoriker Prof. Bill Niven durch den Film. Neben einem kurzen Vortrag zur Entstehungsgeschichte von „Jud Süß“ ging er insbesondere den antisemitischen Inszenierungen auf den Grund. Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schüler fragte er nach der Anschlussfähigkeit der Filmpropaganda für die Gegenwart, informierte über die antisemitische Rezeptionsgeschichte nach 1945 und diskutierte die Chancen und Risiken einer kommentierten DVD-Fassung, über die derzeit nachgedacht wird. In der leider etwas zu kurzen Phase der Diskussion mit Prof. Niven zeigte sich das Interesse der Schülerinnen und Schülern an der Problematik sowie auch die hohe Kompetenz in der Auseinandersetzung. Prof. Niven lobte ausdrücklich das Niveau der Schülerbeiträge.

Das Zeigen von „Jud Süß“ unterliegt bewusst einigen Hürden. Als Vorbehaltsfilm klassifiziert darf der NS-Film nur in Bildungskontexten gezeigt werden. Er muss darüber hinaus mit einem wissenschaftlichen Kommentar versehen sein. Die Kooperationsveranstaltung war dementsprechend eng mit dem Unterrichtsprogramm der Schülerinnen und Schüler abgestimmt. Die Geschichtskollegen des Elisabeth-Gymnasiums wurden im Vorfeld informiert, die Veranstaltung selbst gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern vorbereitet. Mit Prof. Niven stand uns dabei ein exzellenter wissenschaftlicher Ansprechpartner zur Seite. Das Elisabeth-Gymnasium bedankt sich bei Vincent Kleinbub, wie auch bei Prof. Bill Niven für die gelungene Kooperation.

Bill Nivens Buch „Jud Süß – das lange Leben eines Propagandafilms“ (2022) ist über den Mitteldeutschen Verlag oder die Bundeszentrale für Politische Bildung erhältlich.

Als Vortrag und Diskussion im Frühjahr geplant wurden, ahnte niemand, wie durch aktuelle Ereignisse das Thema eine ungeahnte Brisanz und Aktualität erfahren würde. Der brutale Überfall der terroristischen Hamas auf israelische Zivilisten und noch mehr die seit Wochen anhaltenden antisemitischen Äußerungen und Hetzkampagnen, die in aller, breiter Öffentlichkeit stattfinden, machen sprachlos und verbreiten Entsetzen. Sich in dieser emotional hoch aufgeladenen Situation angemessen und sachlich zu verhalten ist vor allem deswegen nicht einfach, weil es meist an der notwendigen Kompetenz, meint die Kenntnis der Jahrtausende alte Geschichte des Nahost-Konfliktes, fehlt. Aus der Schülerschaft ist schon der Wunsch an uns herangetragen worden, hier aktiv zu werden. Das werden wir, und das müssen wir tun.

Ganz unbeabsichtigt geriet somit die Veranstaltung letzte Woche zu einer Art Auftakt für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Problem des Antisemitismus und seiner Geschichte.

Thomas Dölle